Foto: André Wilms

Man durfte durchaus gespannt sein, wie der Großmeister des Progressive Rocks Steven Wilson die Tour zum Album „To The Bone“ angehen wird: Mit dem aktuellen Tonträger hat sich der Brite stärker denn je zuvor vom Progressiven in seiner Musik verabschiedet und dem Pop deutlich die Hand gereicht. Inwieweit das neue Material mit dem kopflastigeren, progressiven Back Katalog harmonieren wird, war die Frage. Beantwortet wurde sie im ehrwürdigen Essener Colosseumtheater. Da Steven Wilson den 05. März innerhalb kurzer Zeit ausverkauft bekam, wurde ein Zusatztermin am Folgetag angelegt, der allerdings auch irgendwann als ausverkauft markiert wurde. Prog oder Pop – Wilson zieht seine Fans mehr denn je in seinen Bann.

Der 05. März

Für die Gigs in Essen und ein paar weiteren Orten gab es mit Donna Zed einen Support Act. Die junge Schweizerin füllte diesen Part in Personalunion aus. Sehr pünktlich um 19.15 Uhr betrat sie die Bühne. Erst wenige Minuten zuvor öffnete das Theater – die meisten Leute waren noch auf dem Weg zum Theater oder aber an der Garderobe oder in der Lobby – entsprechend leer war es im bestuhlten Saal. So bekam tatsächlich kaum jemand mit, wie sich Donna Zed hinter ihr Keyboard stellte und fortan für vier Songs einen guten Eindruck hinterließ. Sie präsentierte recht sperrige Musik, überzeugte dabei mit tollem Gesang und ebenso gutem Spiel.

Um Punkt 20.00 Uhr war es schließlich an der Zeit für Steven Wilson. Das Theater war inzwischen natürlich rappelvoll. Es wurde dunkel und eine Stimme aus dem Off begrüßte die Besucher, stimmte dabei auf einen kleinen Vorabfilm ein. Der lief aber nicht auf der großen Leinwand am hinteren Bühnenrand, sondern wurde auf einem herabgelassenen, durchsichtigen Vorhang projeziert, der im vorderen Bühnenbereich noch vor den Mikrofonständern für die Musiker immer wieder zur Geltung kommen sollte. Der Film verknüpfte Begriffe wie „family“, „compassion“, „happiness“ oder „enemy“ mit passenden Fotos, wechselte später die Fotos zu den Begriffen etwas durch, baute zudem eine zunehmend bedrohlichere Soundkulisse auf.

Gegen Ende des Films betrat die Band fast unbemerkt die Bühne und legte, nachdem der Vorhang zur Seite gezogen wurde, mit ‚Nowhere Now‘ und ‚Pariah‘ (leider ohne Ninet Tayeb, die überlebensgroß lediglich auf den Vorhang projeziert wurde) direkt mit zwei Songs vom aktuellen Album los. Die Musiker, die Mastermind Steven Wilson auf dieser Tour begleiten, sind im wesentlichen die gleichen Herren, die schon zur Hand.Cannot.Erase Tour mit von der Partie waren. So gab es in Essen ein Wiedersehen mit Nick Beggs (Bass, Chapman Stick), Craig Blundell (Drums) und Adam Holzman (Keyboards), an der Gitarre aber überzeugt auf dieser Tour Alex Hutchings statt Dave Kilmister. Allesamt sind hier absolute Meister ihres Fachs am Start.

Insgesamt dauerte der Auftritt von Wilson & Co gute 2 1/2 Stunden, war in zwei Sets unterteilt, denen gegen Ende noch eine Zugabe folgte. Natürlich standen Songs des aktuellen Tonträgers im Fokus. Acht der elf Songs wurden performt. Dabei schmiegten sich diese eher leichtgewichtigeren Songs prima in die Setlist ein, die ansonsten mit jeweils sechs Porcupine Tree bzw. älterer Steven Wilson Songs prima gefüllt war. Tatsächlich kamen die neuen Songs live druckvoller und härter rüber als man vermuten sollte. Lediglich ‚Permanating‘, Wilson’s Hommage an den frühen Pop der 70er und 80er Jahre, blieb quasi unverändert. Es war auch dieser Song, der Wilson zu einer längeren Ansage motivierte. So erzählte er, wie er als Kind mit den Pop & Rock Alben seiner Eltern groß wurde. Und erst in der High School lernte, dass Leute Musik in Genres einstuften, und es zeitgleich absolut nicht verstand, dass Leute direkt mit einem ganzen Genre nichts anzufangen wussten.

Nein, an der Performance und der Setlist gibt es absolut nichts zu kritisieren. Die Band spielte wie aus einem Guss, war mit bester Stimmung bei der Arbeit. Desöfteren konnte man beobachten, wie sich Steven Wilson und Nick Beggs zugrinsten, sich irgendwie anstachelten. Es waren auch die beiden plus Alex Hutchings, die für den vielleicht größten Gänsehautmoment des Abends sorgten: der Wechselgesang während ‚Heartattack in a Layby‘ war schlicht und einfach nur perfekt. Ganz großes Kino, mehr geht einfach nicht. Aber hier zeigte sich dann auch extrem deutlich, woran es an diesem Abend haperte: am Publikum. Es kam schlicht und einfach keine Stimmnung in das Theater. Natürlich fiel das auch Steven Wilson auf, der vom ruhigsten Publikum der ganzen Tour sprach, es aber Gentleman-like darauf schon, dass das Publikum vermutlich besonders konzentriert lauschen würde. Aber das war natürlich nur die halbe Wahrheit. Klar ist: ein komplett bestuhltes Konzert lädt nicht wirklich ein für Exstase. Und klar ist auch: gerade ein exquisites Theater wie das Colosseumtheater in Essen mit roten Teppichen in der Lobby, weiß gekleideten Platzanweisern, rot beplüschten Sitzplätzen .. das hat schon sehr wenig Rockkonzert Charakter. Wenn dazu die Rockband noch zig Meter hinter dem Bühnenrand agiert, damit der durchsichtigeVorgang seine Wirkung ab und an entfalten kann, dann baut das noch mal eine größere Distanz zwischen Musiker und Publikum auf. Und dann hapert es halt an der Stimmung.

Gleichwohl wurde eine Zugabe serviert. Dies sollte zum einen ‚Even Less‘ sein, ein alter Porcupine Tree Klassiker. Für diesen kehrte lediglich Steven Wilson auf die Bühne zurück, spielte diesen Song auf seiner alten Fender Telecaster und einem mobilen Verstärker, den er aus dem Backstagebereich mit nach vorne brachte. Und natürlich wusste er auch zu diesem Equipment noch einiges zu erzählen, bis er schließlich loslegte und eine ganz spezielle Version dieses Klassikers zum Besten gab. Abgerundet wurde die Zugabe schließlich von der ganzen Band, die mit ‚The Raven That Refused To Sing‘ noch einmal ein weiteres Highlight setzte.

Der 06. März

Steven Wilson kündigte schon am Vortag an, dass die Setlist am Folgetag eine andere sein würde, damit die Gäste, die sich Tickets für beide Abende besorgt haben, nicht die gleiche Show zweimal unverändert sehen müssten. Schließlich hätte Wilson ja auch zig Material zur Auswahl. Und als er abfragte, wieviele Leute denn am Folgetag wieder kämen, gab es durchaus Feedback aus dem Publikum.

Tatsächlich war die Setlist in vielen Belangen anders. So stand das erste Set am 06. März ganz klar im Zeichen des Vorgänger Albums „Hand.Cannot.Erase“. Mit ‚Perfect Life‘, ‚Routine‘, dem laut Wilson traurigsten Wilson Song ever, ‚Hand.Cannot.Erase‘ oder auch ‚Happy Returns‘ zauberte die Band Hit an Hit aus dem Hut, sorgte dabei im Publikum für viele feuchte Augen. Das zweite Set war ein Mix aus Songs vom neuen Wilson Alben und Porcupine Tree Klassikern, von denen ‚Don’t Hate Me‘ und ‚The Sound Of Muzak‘ nicht zum Standard Set (siehe Setlist vom Vortag) gehören.

Auch am 06. März war die Stimmung im Theater nicht wirklich überwältigend, wenngleich schon besser als am Vortag, aber gegen Ende des zweiten Sets ließ sich Wilson dann doch zur Aussage hinreißen, dass es jetzt „passen“ würde. Es wäre ihm als Künstler schon sehr wichtig, dass eine Verbindung zum Publikum entsteht und er einfach angewiesen ist auf Feedback seitens der Gäste.

In der Zugabe wurde zwar mit ‚The Raven ..‘ der gleiche Rausschmeißer auserkoren, allerdings wurden mit ‚How Is Your Life Today?‘ und ‚Harmony Korine‘ zwei weitere Songs präsentiert, die es am Vorabend nicht auf die Setlist schafften. Ingesamt wurden damit satte zehn Songs am Dienstag performt, die am Montag nicht gespielt wurden. Eine beachtlichte Quote!

Für beide Abende kann man nur die Höchstnote vergeben. Eine Band auf höchstem Niveau, ein glasklarer Sound (wenn auch sehr laut!), eine beeindruckende visuelle Untermalung, in allen Belangen geht es einfach nicht besser. Was Wilson und Co. an beiden Abenden in Essen darboten, war schlichtweg grandios.

Bericht und Fotos: André Wilms